Kuratorentagung 2023

Deutsch-polnisches Museumsforum
31.03.2023

Museale Vermittlung der Themen Flucht, Vertreibung und Heimatverlust in der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und Polen

Das anstehende 50. Jubiläum des Trägervereins HAUS SCHLESIEN e.V. bot Anlass bei der diesjährigen Kuratorentagung die Entwicklung der Erinnerungskulturen und die museale Darstellung von Flucht und Vertreibung in den Mittelpunkt zu stellen. Mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geht es heute nicht mehr nur darum, an die Geschehnisse von Flucht und Vertreibung zu erinnern und sie in den politisch-historischen Kontext zu setzen, sondern auch darum, sich damit auseinanderzusetzen, wann und wo in welcher Form daran erinnert wurde und wird. Deutliche Unterschiede gab es hier nicht nur zwischen Deutschland und Polen, sondern bis 1990 auch zwischen den beiden deutschen Staaten.

Während im Westen eine intensive Auseinandersetzung mit Flucht und Vertreibung und deren Folgen stattgefunden hat, wurde in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. später in der DDR nur äußerst selektiv an die Geschehnisse erinnert. In der Volksrepublik Polen war es ebenfalls nicht möglich, eine offene Diskussion darüber zu führen. Erst der Zusammenbruch des Ostblocks und der Sturz der kommunistischen Regierungen ermöglichten es auch in den östlichen Teilen Deutschlands und in Polen öffentlich an Flucht, Vertreibung und Heimatverlust zu erinnern. So ist seit Beginn dieses Jahrhunderts in Deutschland wieder ein wachsendes Interesse an der Thematik zu beobachten. Nicht nur in den nach Paragraf 96 Bundesvertriebenengesetz geförderten Landesmuseen sind Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg heute präsent, sondern auch in zahlreichen Stadt- und Regionalmuseen Auch in Polen wird dieses Kapitel der deutsch-polnischen Geschichte in den schlesischen Stadt- und Regionalmuseen zunehmend thematisiert und an die deutschen Spuren in Stadt und Umland erinnert.

Die Museen müssen sich dabei mit Fragen der zeitgemäßen Darstellung, der kritischen Reflexion des eigenen Umgangs mit dem Thema und der Einbeziehung der Betroffenen sowie der Bevölkerung vor Ort ebenso auseinandersetzen wie mit den oft fehlenden Kenntnissen der historischen Hintergründe und der Verknüpfung mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Vielzahl der möglichen Herangehensweisen stellt die Kuratoren, Vermittler und Gestalter vor große Herausforderungen. Mit der durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur finanzierten Kuratorentagung wurde deshalb ein Forum geschaffen, das einen Austausch von Fachkollegen aus dem In- und Ausland ermöglichte. Während der zweieinhalbtägigen Tagung wurden dazu einzelne Projekte aus den Einrichtungen der Teilnehmer vorgestellt und diskutiert.

Den Auftakt zur Tagung bildete am Anreisetag eine kurze Vorstellungsrunde, der sich ein ausgedehnter Rundgang durch die neue Dauerausstellung von HAUS SCHLESIEN anschloss. In einem ersten Themenblock wurde Flucht und Vertreibung sowie Ankommen und Integration als Teil der lokalen bzw. regionalen Geschichte in den Fokus gestellt. Hierzu referierte die Kuratorin Renata Matysiak aus dem Archäologisch-Historischen Museum in Glogau (Głogów) über eine im dortigen Museum präsentierte Ausstellung. Es folgte die Präsentation des neueröffneten Museums Flucht – Vertreibung – Ankommen in Erbendorf durch den dortigen Leiter Jochen Neumann. Abgeschlossen wurde der Themenblock durch das Referat von Natalie Reinsch, die das von ihr zum 75jährigen Jubiläum des Landes Niedersachsen entwickelte Ausstellungsprojekt Vom Ihr zum Wir erläuterte.

Die Darstellung der Entwicklung der Erinnerungskultur wurde im zweiten Teil thematisiert, den Dr. Jens Baumann, Beauftragter für Vertriebene und Spätaussiedler des Freistaates Sachsen, mit der Vorstellung des Transferraum Heimat im sächsischen Knappenrode einleitete. Im Anschluss schilderte Catherine Perron, Assistant Research Professor an der Science Po in Paris, erste Überlegungen zu einem aktuellen Forschungsprojekt, dass sich mit Objektbiographien und Provenienzforschung in Bezug auf Kulturgüter aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten bezieht. Vanessa Rauche, Magisterstudentin an der Amsterdam School of the Arts, berichtete in diesem Zusammenhang über erste Rechercheergebnisse. Den Abschluss des ersten Tages bildete ein Besuch der Dauerausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und ein Austausch mit dem Ausstellungsdirektor Dr. Thorsten Smidt.

Den Auftakt am zweiten Tag machte der Beitrag von Bartholomäus Nowak, Kurator der Städtischen Museen Zittau, der die 2020 gezeigte Ausstellung entKOMMEN vorstellte und dabei die besondere Situation im Dreiländereck darlegte. Im folgenden Vortrag ließ Silke Findeisen, Kuratorin im HAUS SCHLESIEN, dessen Entstehungsgeschichte und die Entwicklung zum Dokumentations- und Informationszentrum noch einmal Revue passieren. Einen ähnlich umfassenden Überblick über die Ausstellungstätigkeit und die Darstellung von Flucht und Vertreibung im Riesengebirgsmuseum in Hirschberg gab daran anschließend der dort tätige Kurator Henryk Dumin.

In einem letzten Block, der das Thema in einem eher nationalen Kontext betrachtete, stellte Janusz Stolarczyk, Kurator im Museum des Neustädter Landes, eine im Haus produzierte Publikation mit Zeitzeugenberichten vor und verdeutlichte dabei die Problematik der stark national beschränkten Blickwinkel. Den Abschluss bildete der Beitrag von Bogna Piter, Kuratorin im Dokumentations- und Ausstellungszentrum der Deutschen in Polen, die die Darstellung dieses Kapitels der deutsch-polnischen Geschichte in der im letzten September in Oppeln eröffneten Ausstellung erläuterte.

Den Vorträgen schloss sich jeweils eine rege Diskussion an, die sich auch in die Kaffee- und Mittagspausen hineinzogen. Mit vielen Anregungen, neuen Ideen und positiven Eindrücken machten sich die Teilnehmer am späten Freitagnachmittag auf den teilweise recht langen Heimweg.

Silke Findeisen

 

Die Arbeitstagung wurde gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

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