„Schlesische Begegnungen“ im HAUS SCHLESIEN 21.11.-27.11.2021

Universität Breslau - Historisches Institut
06.12.2021

Bericht zum Seminar vom 21.11. bis 27.11.2021

Nach einer pandemiebedingten Pause von fast zwei Jahren fand in der Woche vom 21. bis zum 27. November 2021 wieder ein langersehntes Seminar aus der Reihe „Schlesische Begegnungen“ im HAUS SCHLESIEN statt. Zu Gast war eine gemischte Gruppe der Universität Breslau/Wrocław und anderer befreundeter Institutionen, unter Leitung des Historikers Prof. Tomasz Przerwa.

Der erste Tag diente dem Kennenlernen des HAUS SCHLESIEN: nach einem Einführungsvortrag der Leiterin des Dokumentations- und Informationszentrums, Nicola Remig, besichtigte die Gruppe die Räumlichkeiten sowie das Gelände des Anwesens und erhielt Einblicke in die Geschichte des Vereins und sein grenzübergreifendes Tätigkeitsspektrum. Von der hauseigenen Bibliothek wurde fortan täglich Gebrauch gemacht, bis in die späten Abendstunden hinein. Die Bestände des Archivs wurden ebenfalls genutzt – vor allem die dort zahlreich vorhandenen Erlebnisberichte der deutschen Vertriebenen.

Ab dem zweiten Tag begannen die Exkursionen, deren Ziel es war, der polnischen Gruppe das Nachbarland Deutschland und seine Geschichte(n) näher zu bringen. Ein wesentlicher Teil der verständigungspolitischen Arbeit ist das gegenseitige Kennenlernen sowie Einblicke in diverse kulturelle und politische Entwicklungen. Während eines spontanen Ausflugs zum Drachenfels wurde den Teilnehmern die Nibelungensage erzählt und auf deren propagandistischen Gebrauch während der beiden Weltkriege eingegangen (die von Kaiser Wilhelm II. beschworene „Nibelungentreue“ Deutschlands zu Österreich und später Hermann Görings Rede über den Kampf in Stalingrad, in der er eine Analogie zum Endkampf in der brennenden Halle am Ende der Nibelungensage zog). Anschließend ging es nach Bonn, wo im Rahmen einer Führung durch Frau Dr. Inge Steinsträßer über den Alten Friedhof die Vielzahl an prominenten Personen, die dort begraben liegen, vorgestellt und in Bezug zur deutschen und europäischen Geschichte gesetzt wurde, so z.B. Robert Schumann, Ernst Moritz Arndt oder die Mutter von Ludwig van Beethoven. Ferner wurde thematisiert, dass sich auf dem Friedhof sowohl ein Denkmal für die französischen als auch eines für die deutschen Gefallenen befindet. Sogar ein irisches Grab befindet sich dort, erkennbar an dem charakteristischen Keltenkreuz. Der Friedhof steht somit für ein Zusammentreffen von verschiedenen Kulturen: Schon 1870/71 wurde nach dem deutsch-französischen Krieg ein Gefallenendenkmal mit der Inschrift errichtet, dass es nie wieder Krieg geben möge – ein Wunsch, der sich leider nicht erfüllte.

Zum Pflichtprogramm gehört immer der Besuch des Kölner Doms, der am dritten Tag absolviert wurde. Vielen ist nicht bewusst, dass im Dom die erste polnische Königin begraben liegt, Richeza von Lothringen. Sie war eine Nichte Kaiser Ottos III. und verheiratet mit dem polnischen König Mieszko II. (dieser war bereits der zweite König von Polen, sein Vater und Vorgänger Bolesław der Tapfere war bei der Krönung bereits verwitwet und verstarb kurz darauf). Anhand dieses Beispiels lässt sich die enge Verbindung von Deutschen und Polen im mittelalterlichen Europa darstellen und zwar schon ab der Geburtsstunde des Königreichs Polen.  Im 20. Jahrhundert konzentrierte sich die Geschichtsschreibung beider Länder vor allem auf die Gegensätze: Die Geschichte von multiethnischen Gebieten wie Schlesien wurde oft ignoriert und stattdessen versucht zu beweisen, dass das Land der jeweils eigenen Seite gehöre – die deutsch-polnische Geschichte wirkte aus dieser Perspektive wie ein jahrhundertelang andauernder Kampf um das Grenzland. Ein Paradigmenwechsel setzte erst ab den 1990ern ein, weshalb dieser Gegensatz teilweise bis heute nachwirkt – daher ist es von enormer Bedeutung, an verbindende Persönlichkeiten zu erinnern.
Auch das Schloss Augustusburg in Brühl wurde an diesem Tag besucht, die Residenz des Clemens August von Bayern. Dessen Mutter war die Tochter des polnischen Königs Johann Sobieski III. – ein weiteres Beispiel der Verwobenheit der deutsch-polnischen Geschichte.

Am vierten Tag wurde die Martin-Opitz-Bibliothek in Herne besucht. Der thematische Sammelschwerpunkt der Institution umfasst die deutsche Geschichte und Kultur im Osten Europas. Nach einem ausführlichen Vortrag zum grenzübergreifenden Tätigkeitsspektrum der Institution unter dem Zeichen der Völkerverständigung bestand auch hier die Möglichkeit zur Recherche, die voll ausgeschöpft wurde. Die Teilnehmer hatten schon im Vorfeld hunderte Bücher und Quellen zur Einsicht bestellt.

Am fünften Tag wurde die Woche noch einmal rekapituliert. Die Teilnehmer äußerten sich ausnahmslos positiv und waren dankbar für die umfangreichen Einblicke, Diskussionen, Recherchemöglichkeiten und das mannigfaltige Programm. Sie hätten in der Woche viel Neues über ihr Nachbarland gelernt und auch die eine oder andere Überraschung erlebt. Es wurde deutlich, wie wichtig ein Austausch zwischen Deutschen und Polen ist, da die politische Situation sich in den letzten Jahren deutlich verkompliziert hat.

Die interkulturelle Ausrichtung und das abgestimmte Programm machen die „Schlesischen Begegnungen“ zu einem einmaligen Ereignis – der Abschied löst selbst nach der kurzen Zeit immer ein wenig Wehmut aus. Einer der Teilnehmer verabschiedete sich vom Betreuer der Gruppe mit den Worten: „Sie waren die Seele dieser Fahrt“ – ein Kompliment und Dank für unsere Arbeit, wie es schöner nicht möglich ist.

Florian Paprotny

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